Der Apfelstrudel ist aus!

Zeit:          Anfang der 90zigern

Ort            Restaurantküche Haxenhaus

Kalle          Chefkoch

Bert           Souschef

Erwin        Beikoch

„Was stehst du so rum und guckst so?“ blaffte Bert den Beikoch Erwin an.

Beide waren in der Frühschicht in unserem Restaurant eingeteilt. Der Chefkoch Kalle war seit zwei Tagen im Urlaub und Bert hatte als Souschef die Leitung der Küche übernommen.

„Bert, im Kühlhaus gibt es keinen Apfelstrudel mehr!“

„Wie? Es gibt keinen Apfelstrudel mehr. Da müssen doch noch 25 Stücke sein. Gestern Abend, als ich ging, waren die noch da!“ antwortete Bert.

„Ja, mag ja sein, aber nachdem wir weg waren, haben die gestern noch am späten Abend die 25 Stück geschickt. (zubereitet und an den Service abgegeben).

„Und jetzt. Heute Abend haben wir eine Reservierung mit einer Gesellschaft, die das „Rheinische Menü“ bestellt hat und rate mal, was in diesem Menü als Dessert serviert werden muss!“ stieß Bert hervor.

„Dann back doch frischen Apfelstrudel!“ schlug Erwin vor.

„Jo, Jo, du Klugscheißer. Das lässt sich einfach sagen, wenn man

keine Ahnung hat Dieser Apfelstrudel ist ein kompliziertes Stück Backwerk. Damals in der Berufsschule haben wir in der Dessert-Kunde über Apfelstrudel gelernt. Das Ur-rezept kommt aus dem Orient, aus dem Osmanischen Reich und hieß da Baklava, soweit ich mich erinnere. Das ist zu der Zeit mit den Orientalen nach Ungarn und mit diesen Ungarn dann nach Österreich gekommen. Und die Franzosen haben eine ähnliche Machart für die weltberühmten Croissants angewandt.“

„Und wenn du das alles weißt, brauchst du doch nur das Rezept und dann los!“ gab Erwin von sich.

„Gut gesagt, du Naseweis. Der Chef ist in Urlaub, hat sein Rezeptur-Schrank abgeschlossen. Und da ist das Buch mit dem Rezept von dem Rheinischen Apfelstrudel drin. Der Rheinische unterscheidet sich nämlich von dem aus Österreich. Der Apfelstrudel vom Rheinland ist mit Mürbeteig, Nüssen und in Wein eingelegte Rosinen gemacht. Der Strudel aus Österreich ist anders. Und an den Schrank, da komm ich nicht dran. Ohne das Original-Rezept für den Rheinischen Apfelstrudel klappt das nicht“ stöhnte Bert.

„Ich geh mal gucken, ob ich im Büro vom Chef was finde“ sagte Erwin und verschwand in Richtung Büro, wo der große Rezeptur-Schrank vom Souschef stand.

Tatsächlich war der Schrank, abgeschlossen. Durch die Glastüren sah er das große, schon abgegriffene Rezeptbuch mit dem Titelbild „Klassisches Backen in der Gastronomie“. Da war es. Das Buch, was sie dringend brauchten, das, wo das Originalrezept drin stand. Aber vor der Schranktür hing ein massives Vorhängeschloss! Er kam nicht an das Buch ran!  Was für eine Scheiße!

Suchend blickte Erwin sich im Büro um. Unter Stapeln von Akten auf dem Schreibtisch fiel sein Blick auf ein kleines schmales Büchlein. Mit spitzen Fingern zog er das Büchlein aus dem Stapel. Es war etwa so groß wie ein normales Schulheft, nur mit etwas dickerem Papier und sah ziemlich abgegriffen aus. Auf der Vorderseite stand in alter Schrift

Backen in der bürgerlichen Wirtschaft“.

Neugierig schlug er die Vorderseite auf und sah das Inhaltsverzeichnis mit einer Auflistung von ungefähr 15 verschiedene Kuchen und Backrezepten. Eine Zeile sprang im ins Auge: „Omas Apfelstrudel“.

Schnell schlug er die Seite auf.

Unter Nummer sechs stand tatsächlich:

Altes Rezept vom Rheinischen Apfelstrudel

„Bert, Bert, ich habe das Rezept gefunden!“

„Zeig mal!“  Bert zog ihm das Heftchen aus der Hand.

„Was ist das denn, das ist nicht das Originalrezept! Das ist das nicht!! Da steht zwar „Original Rheinischer Apfelstrudel“ aber mit einer ganz anderen Anleitung drin!“

„Aber da steh doch Original ……!“ erwiderte Erwin enttäuscht.

„Ja, ja das steht zwar Original-Rheinischer-Apfelstrudel. Aber schau mal hier:

Wie das Rezept geschrieben steht:

Messspitze anstatt Gramm, eine gute Hitze im Kohleofen anstatt Hitzegrad beim Elektrobackofen.

Für 1 Portion:

3 große feste Äpfel, ¼ Pfund gute Butter, 1 Tasse Zucker,1 Tasse voll Rosinen in Wein eingelegt, 1 kleiner Löffel Tütt*, 1/8 Liter Milch von der Kuh, 1 Prise Zimt, 1 Ei vom Huhn.

*Tütt: ländlicher Dialektbegriff für Rübenkraut

Dann stand da noch: Wie man zubereitet!

Herd mit starken Holzscheiten auf große Hitze bringen und Backofen vorheizen.

Die Äpfel schälen, entkernen und in kleine Stücke schneiden.

In einer Schüssel die Äpfel mit Zucker, Zimt und Rosinen vermischen und beiseitestellen.

Für den Teig: Mehl, Butter, Ei, Milch und eine Prise Salz in eine Schüssel geben und zügig zu einem glatten Teig verkneten. Den Teig in ein Tuch wickeln und eine längere Zeit kühl stellen.

Den gekühlten Teig auf einer bemehlten Fläche dünn ausrollen und auf ein gefettetes Backblech legen.

Die Apfelmischung gleichmäßig auf dem Teig verteilen, dabei die Ränder frei lassen.

Den Teig von der langen Seite her aufrollen und die Enden gut verschließen.

Den Strudel mit flüssiger Butter bestreichen und mit einer Gabel einige Male einstechen.

Im angeheizten Back- Ofen ca. 30-35 Minuten backen, bis der Strudel goldbraun ist.

Warm servieren, idealerweise mit geschlagener Sahne oder Vanillesoße.

„Na ja, Bert, das sieht nicht so kompliziert aus. Das brauchst du nur auf die Zahl der Portionen umzurechnen und die alten Maße, na ja Bert?“ Erwin schaut vertrauensvoll zu dem Souschef.

„Och Erwin, dein na ja in allen Ehren. Aber was nützt es denn? Wir müssen das Risiko eingehen. Viel Zeit haben wir nicht mehr, nur bis heute Abend.

Ich glaube, wir haben alle Zutaten. Lass uns loslegen!!“  stöhnte Bert mit einem Blick nach oben. „Kalle (der Chefkoch in Urlaub), ich bin Koch, kein Bäcker, kein Bäcker! Kalle“.

Die beiden machten sich ans Werk uns am Abend gab es pünktlich zum Dessert einen wundervoll duftenden warmen Rheinischen Apfelstrudel mit Vanillesauce für die zufriedenen Gäste im Haxenhaus.

bis zum nächsten Mal…